DIE CHRONIKEN
„Innana Veh!“ Kommt und hört zu…
So beginnen alle Geschichten in Ylodern. Und Wunderbares bekommt man dann zu hören. Vom Beginn der Zeit, denn die Zeit war nicht immer da. Davon, wie ein Gedanke mit der Erkenntnis spielte und dabei Herrlichkeiten erschuf. Wie der Baumeister erst die Erde, dann die Pflanzen und Tiere, dann den Menschen und schließlich die Zivilisationen formte. Oder vom großen Funken, der aus den Gegensätzen seines Wesens Wunder gebar. Wie der alte Eremit durch die Welten zog. Wie die Geister, die verkörpertes Leben selbst sind, den großen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt antreiben.
Viele Geschichten gibt es von Ylodern zu erzählen, wenn die Feuerfunken gen Nachthimmel steigen. Doch wie alles begann, das ist in Hunderten von Jahren und Leben in Vergessenheit geraten. Und darum beginnen wir unsere Geschichte von Ylodern auch nicht am Anfang, sondern berichten zunächst von dem, was man noch mit Sicherheit weiß.
Schon seit vielen Generationen gehen Zorn, Angst und Unfriede um in der Welt. Seit die alten Geister sich unter ihrem Anführer Orakon gegen die Götter der drei Amphoren erhoben und die Menschheit sich in zwei Lager spaltete. Der erste große Krieg wütete mehrere Jahre in Ylodern. Er erschuf Helden und Monster. Schmiedete Kameradschaften und entzweite Familien. Das tat er mit Feuer und Eisen. Mit Blut und Tränen, Zornesstimmen und Todesschreien.
Nach diesem ersten großen Krieg zogen sich Geister und Götter aus dem Streit zurück, denn seine Folgen waren zu verheerend für die Welt und ihre Kräfte hätten Ylodern beinahe in Stücke gerissen. Doch der Friede konnte im Herzen der Menschen keine Wurzeln schlagen. Die jungen Zivilisationen, die der Asche der Schlachtfelder entstiegen, wurden schon in der übernächsten Generation wieder in den Staub geworfen.
Der Süden Yloderns hatte sich auf die Seite der Geister geschlagen, während der Norden für die Götter stritt. Die Fronten verhärteten sich immer weiter. Vor fünfundzwanzig Jahren schließlich begann abermals ein schrecklicher Krieg, der fünf Jahre lang beide Länder ausblutete und die Herzen der Menschen abstumpfen, ihre Hoffnungen vertrocknen ließ. Doch nach und nach kristallisierte sich ein Sieger in den ewigen Schlachten heraus. Der Norden, technisch und organisatorisch den stolzen aber wilden Stämmen des Südens überlegen, konnte auf dem Feld von Terén einen vernichtenden Sieg erringen. Fast der ganze Adel des Südens wurde getötet, und seine Jugend, die Hoffnung eines jeden Volkes, dahingeschlachtet. Zurück blieben nur die Alten, die Schwachen und die Kinder. Ein neuer Friedensvertrag wurde geschlossen. Seitdem kontrollieren die nördlichen Säulenpaktländer den Süden.
Sie bauten Straßen und brachten den schwachen Stämmen Nahrung, Bildung und Hilfe beim Wiederaufbau. Doch sie nahmen ihnen auch die alten Rituale. Sie nahmen ihre Kinder und erzogen sie an ihren nördlichen Schulen. Sie gaben ihnen Statthalter und Abgaben. Der Frieden dauert nun zwanzig Jahre an. Eine ganze Generation erblühte in dieser Zeit. Doch die alten Wunden sind noch nicht geheilt. Die Menschen erinnern sich noch immer an die alten Lügen, Versprechungen und Rituale.
Bericht des Cornelius Andronikus, aus der Familie der Androniker, Markgraf von Süd-Terén und Ehrenmitglied der Teréner-Garde an ihro Gnaden Kaiser Reinwertus Septimus, aus der Familie der Septimer, caesarus des Säulenpakts, erster Richter im Reich, Oberbefehlshaber der Teréner-Garde, der kaiserlichen Flotte und der arvennischen Garde, über die Geschehnisse zum zwanzigsten Jubiläum des Friedens von Terén.
Allergnädigster Fürst und durchlauchter Kaiser der Säulenpaktlande, demütig senke ich mein Haupt, da ich Geschehnisse zu berichten habe, die ich nicht verschweigen kann und will, obwohl sie auf meinem Land und Boden sich zutrugen und die Unterzeichnung des neuerlichen Friedensvertrages mit Arsa gefährdeten, jedoch aufgrund des tapferen Einsatzes von Leib und Leben einer Anzahl an Männern und Frauen doch noch zum Guten gewendet werden konnten.
Auf meinem Jagdgut nahe des Schlachtfeldes von Marisén, versammelte sich eine illustre Anzahl an Reichsgästen, Staatsfürsten und Gesandten, um die Feierlichkeiten zum Friedensschwur gemeinsam zu begehen. Wie ich bereits im Vorfeld der Veranstaltung dargelegt hatte, errichtete ich zu diesem Anlass einen Schutzgürtel, bestehend aus den besten Männern der Teréner-Garde, um die Sicherheit aller Gäste zu gewährleisten, dabei jedoch unsere diplomatischen Gäste aus dem Süden nicht in eine steife, förmliche und unangenehme Situation der Überwachung und Bedrängnis zu bringen.
Vor Ort waren Anwesend: Euer ehrenwerter Sohn selbst, seine Hoheit Kronprinz Konstantin Septimus in Begleitung seines Leibwächters Elpidios. Ich selbst, Cornelius Andronikus, meine Statthalterin und Stellvertreterin vor Ort, die Dame Drusilla Calanthius, Ihre Hoheit die Herzogin von Arvenn Theodora Eudokia in Begleitung ihres Vetters ersten Grades und Kammerherrn Flaccus Eudokia, der Herr Alarich Arenborn, ein fremdländischer Gast und Edelmann in Begleitung seiner Gefolgsleute Florine du Fontane und Salym. Weiterhin aus den Reihen der südländischen Gesandten Nurhadin, genannt Alhizan aus dem Stamm der Barai, Amirah, genannt Sita, Schwester des südlichen Königs Urven Arsa Do’rian, Taruna, eine Vertraute Amirah Sitas, Sheikh Walid ibn Mustafa at-Dimali al Rashid mit seinen Töchtern Natani und Jadira, seinem Anverwandten Julius Aelius und seinem Wächter Ruk Char. Weiterhin anwesend war die ehrenwerte Chien Su-Ya, die siebzehn Jahre im Hause der Eudoker gelebt hatte und zu diesem Anlass in die Heimat entlassen wurde.
Aus den Reihen der niederen Stände bzw. Standeslosen waren anwesend: Lars vom Aikhof mit seinen Begleitern Heinrich Hartmann und Karn aus den Nordprovinzen, der Elf und fremdländische Magier Nyran Farr, ein Bogenschütze und Abenteurer namens Gromak, die fremdländischen Gelehrten Herseph Holgersen und Iola Gundasdottir, ein reisender Monsterjäger namens Mortarion, meine treue Leibwächterin Akira, genannt die Klanlose, der wohlbekannte Händler Atticus Philanthropenos, die Sacerdotis tres Amphores und Priesterin des Ravenn Brutia, die Schamaninnen Ashanti aus Ulungai und Soraija vom Stamm der Maeljinn, der berühmte Dichter Arsas Davin Rai aus Lydhan, die Bardin Greta vom Frostfall aus den Nordprovinzen, meine Untertanin, die Bäurin und Pferdewirtin Helah, die Reisende und Gelehrte Khaleeda Jara aus Marabien, der Leibwächter der Amirah Sita Kojo vom Stamme der JuJu, die Kräuterhändlerin Vigilia Malakes und eine Repräsentantin Magads, die Kriegerin Zoya vom Stamm der Zaor.
Der offizielle Teil des Freitagabends verlief reibungslos und friedlich. Nach der Ankunft der Gesandtschaft und weiterer Gäste, der Begrüßung und dem Götterdienst feierte die südliche Delegation ein Abschiedsritual für ihre Prinzessin, das wohl nicht ganz nach ihren Wünschen verlief, aber sonst ungestört blieb. Doch später am Abend begannen die Unruhen: Sheikh Walid und seine Tochter Jadira wurden bei einem abendlichen Spaziergang an der frischen Luft von einem Unbekannten mit dem Messer überfallen und erst nach einiger Zeit verwundet aufgefunden. Trotz redlicher Bemühungen konnten ob der hereingebrochenen Dunkelheit keine verlässlichen Spuren des Attentäters gefunden werden. Man vermutete er habe sich in den nahen Wald geflüchtet. Aufgrund dieser Situation wurde die nähere Umgebung gründlich abgesucht und alle Zugänge zum Haus verriegelt und unter strenge Bewachung gestellt.
Doch am nächsten Tag trugen sich neuerliche Ungeheuerlichkeiten zu. Kurz nach Anbruch des Tages tauchte Taruna, die Vertraute Amirahs, in einem desolaten Zustand beim Haus auf und verkündete, dass sie die Sita am vorangegangenen Abend noch vor Ausbruch der Unruhen in den Wald verfolgt habe, welche, wie sich gegen Mittag herausstellte, selbst mit dem ihr vertrauten Dichter Davin Rai versucht hatte sich durch Flucht ihrem Aufenthalt im Norden zu entziehen. Hierbei wurden beide jedoch von mehreren bewaffneten Schergen unbekannter Herkunft abgefangen und verschleppt. Man fand Davin Rai zur Mittagszeit schwer verwundet in der Nähe des Hauses auf, wohin er sich aus eigener Kraft geschleppt haben musste.
Im Laufe des Tages durchforschten viele der Gäste den nahen Wald nach Hinweisen. Einige suchten auch den Rat und die Führung bei den Göttern oder wandten sich an gut gesinnte Geister. Aufgrund der hilfreichen Aussage der Herzogin Theodora Eudokia und einiger Hinweise, die im Wald gefunden wurden, stellte sich heraus, dass ein Trupp Söldner des Regiments „Xiphias Brüder“ im Auftrag eines noch unbekannten Verschwörers die südliche Prinzessin als Geisel genommen hatte, in der Absicht sie am darauffolgenden Abend zu töten und so einen neuerlichen Konflikt zwischen Nord und Süd zu provozieren.
Euer Sohn, Konstantin Septimus berief auf die Schnelle eine Gerichtsverhandlung ein, um über alle Schuldigen in dieser Sache zu urteilen und nötige weitere Schritte zu erörtern. Verhört wurden hierbei zufördest Davin Rai, der sich erkühnt hatte mit Amirah Sita zu fliehen, und deren Vertraute Taruna, welche das Fehlen der Prinzessin zwar bemerkte, es jedoch unterließ Hilfe herbeizuholen. Zum Zwecke der Urteilsfindung zogen wir, euer ehrenwerter Sohn, seine Hoheit der Kronprinz, meine Wenigkeit und der Abgesandte des Südens Nurhadin uns für einige Stunden zurück. Während unserer Abwesenheit gelang es den tapferen und wagemutigen Gästen des Festes den Aufenthaltsort der Söldner ausfindig zu machen und Dank des Verhandlungsgeschicks Ihrer Hoheit Theodora Amirah Sita gegen eine Summe von 50 Goldtalern auszulösen.
Bei unserer neuerlichen Zusammenkunft wurden dem Gericht so auch durch die Dame Florin neue Beweise vorgelegt, die den Händler Atticus Philanthropenos als den heimlichen Verschwörer und Ränkeschmied entlarvten. Auf meinen Befehl hin wurde er in Haft genommen und im Pferdestall arrestiert, wo einige Männer, darunter der Hexer Mortarion, ihn bewachten. Das Gericht entschied Gnade über den Dichter Davin Rai walten zu lassen und ihn lediglich aus den Säulenpaktlanden auf Lebenszeit zu verbannen. Doch kaum endete unsere Zusammenkunft als neuerliche Schrecken aufkamen.
Wie sich herausstellte, war der Händler Atticus ein verderbter Anhänger der widernatürlichen Blutmagie des gefallenen Gottes Marduk und befreite sich mit dieser Macht aus der Haft. Es kam zu einem Kampf gegen die beschworenen Dienerkreaturen, die Leibwächter, welche er mittels finsterster Beherrschungszauberei sich unterworfen hatte und den Verschwörer selbst, bei dem viele der Gäste todesmutig und unter Einsatz ihres Lebens, gegen die dunklen Machenschaften des Zauberers vorgingen. Namentlich hervorzuheben sind hier vor allem der edle Alarich Arenborn, der tapfere Karn, der Hexer Mortarion, aber auch der Elf Nyran, der wandernde Gromak und nicht zuletzt die kriegerische Tochter des Sheikhs Walid, Jadira, nebst seinem Wächter Ruk, um nur einige zu nennen. Gemeinsam gelang es uns allen, den niederträchtigen Atticus im Kampf zu besiegen. Er wurde seiner gerechten Strafe noch vor Ort zugeführt, um keinen weiteren Schaden anrichten zu können. Es betrübt mich sehr, das ein Mann, der den höchsten Rängen so nahe stand, hinter diesem Komplott steckte, das den Frieden derart in Gefahr brachte.
Aufgrund der Intelligenz, dem Tatendrang und der Tapferkeit vieler der Anwesenden konnte der zwanzigste Friedensschwur jedoch erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Einer Verbindung zwischen dem hohen Haus der Septimer und der königlichen Linie Arsas steht somit nichts mehr im Wege. Euer Sohn und seine zukünftige Braut werden mitsamt ihrem kleinen Gefolge wohl in den nächsten Wochen bei Euch eintreffen, mein Fürst und Kaiser. Ich freue mich außerdem sehr, dass auch ein weiteres Ehebündnis zu diesem Anlass begründet wurde, nämlich zwischen meiner Statthalterin Drusilla Calanthius und dem Kammerherrn Flaccus Eudokia. Da diese Verbindung jedoch in ungewöhnlicher Schnelle geschlossen wurde, mag es sein, dass die Familie der Eudokier sich diesbezüglich noch einmal an Euch wenden wird, mein Fürst.
Aufgrund der treuen Dienste der Teréner Garde konnten im Nachhinein des Festes auch noch weitere Untaten aufgedeckt und gesühnt werden. Der oben erwähnte Sicherheitsgürtel blieb noch einige Tage nach Abschluss des Festes bestehen, nicht nur, um alle eventuellen Mitverschwörer des Atticus Philanthropenos ausfindig zu machen und festzusetzen, sondern auch um den Raub der Reparationszahlungen, die Schändung der heiligen Amphoren in der Kapelle meines Hauses und den Diebstahl der von den Tempeln bereitgestellten wertvollen Opfergaben aufzuklären. Außerdem wurden auf einem abgelegenen Bauerngestüt mehrere Leichen, offenbar die Bewohner, gefunden. Die Reparationszahlungen Arsas konnten in den Händen eines einfachen Soldaten sichergestellt und zurückgebracht werden, der uns zur Diebin und Landesverräterin Khaleeda Jara führte.
Diese wurde abgefangen, als sie versuchte meine Ländereien zu verlassen, vor Gericht gestellt und mehrere Tage einer peinlichen Befragung ob der anderen Verbrechen unterzogen. Sie leugnete jegliche Beteiligung an dem Diebstahl der Opfergaben und der Schändung der Kapelle; da ihr niederträchtiger Charakter sich jedoch bereits im Verrat an ihren Landsleuten offenbart hat, ist ihre Schuld nicht zu bezweifeln. Sie wurde am sechsten Tage nach ihrer Verhaftung durch den Strang vom Leben zum Tode befördert. Der Wald wird derzeit noch nach den gestohlenen Opfergaben durchkämmt, die die Diebin zweifelsfrei dort versteckt hatte, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder an sich zu bringen. Was die Ermordung der ansässigen Bauersfamilie betrifft scheint es so, als ob die „Xiphias Brüder“ an ihnen Rache für eine nicht eingehaltene Abmachung genommen hätten.
Damit schließe ich meinen Bericht der Ereignisse und muss Euch, kaiserliche Majestät, um Verzeihung bitten, dass sich solche Schändlichkeiten zutragen konnten. Ich kann zu meiner Verteidigung nur vorbringen, dass der Frieden zwischen den Ländern Arsas und der Säulenpaktlande durch diese Ereignisse weitaus mehr verstärkt und bekräftigt wurde, als ein einfaches Fest es hätte zustande bringen können. Der gemeinsame Feind hat Süd- und Nordländer enger zusammengebracht und den Wert des Friedens erkennen lassen. Ich werde in den folgenden Wochen an den Hof in Korus einkehren, um mich für alle Ereignisse vor Ort zu verantworten und verbleibe Euer untertäniger und demütiger Diener.
Eine Einordnung der Ereignisse der Herbstjagd im zweiundzwanzigsten Jahr nach der Friedensschließung von Téren, unter Berücksichtigung der damaligen politischen Lage, integrierend die offizielle Stellungnahme der Beamtin Ylvi Kolliander und den Bericht des ehrwürdigen Jüngers von Atli, der Augenzeuge des Geschehens war. Geschrieben von Marius, Qualificatus des Silen, in der Lehre bei Alanna, Artificis Doctus
Nach dem berüchtigten Jubiläum des Friedensschwurs Arsas gegenüber dem Kaiserreich des Säulenpaktes und der gleichzeitigen Verlobung des Kaisersohns Konstantin mit der Südprinzessin Amirah Sita, der Schwester des südlichen Fürsten oder „Urven Arsa“, war immer noch kein wahrer Frieden eingetreten.
Im Norden wurde die Ehe, die der Grundstein für einen dauernden Frieden zwischen den Ländern des Nordens und des Südens sein sollte, trotz oder gerade wegen ihrer unerwarteten Harmonie zum Zankapfel zwischen den Mächtigen am Hofe des Kaisers Reinwertus Septimus. Während die diplomatisch geschickte Südprinzessin immer mehr an Beliebtheit und Einfluss gewann, entzog das mächtige Haus der Eudokia, früher dem Kaisersohn aufs Engste verbunden, dem Paar mehr und mehr seine Unterstützung. Andere Häuser wie das alte Geschlecht der Valenier aus Nord-Terén oder der neue, aber einflussreiche Geldadel der Maecer aus Zirdán drängten sich mit ihren eigenen undurchsichtigen Zielen immer mehr in den Vordergrund. Gelehrte und Studenten, die die Annäherung zwischen Nord und Süd begrüßten, verlangten immer selbstbewusster nach Veränderungen im Umgang mit den südlichen Nachbarn. Der in den Städten einflussreiche Ordo Tutelae begrüßte zwar prinzipiell die Verbindung mit dem Süden als Stabilitätsgarant, wünschte sich jedoch, dass ihre neue Prinzessin mehr auf ihre neuen nördlichen Berater statt auf ihre alte Freundin aus der Heimat – zu allem Überfluss eine Schamanin - hören würde. Mysteriöse Flugblätter, die den Adel als inkompetent schmähten und die Einrichtung eines kaisertreuen, neutralen Beraterzirkels als politische Institution direkt unter dem Kaiser selbst forderten, stachelten die Gemüter in der Hauptstadt auf. Auch der Ordo Tenebrarum, die eifrigsten Verteidiger des Säulenpaktes gegen Geister und ihrer verfluchten Gabe, sah sich durch die Ehe seines zukünftigen Kaisers mit einer Geister anbetenden Südländischen dazu genötigt, sich aus seinen zurückgezogenen Klöstern aufzumachen, um seine alte Machtposition in den großen Städten des Reiches wiedereinzunehmen. Das einfache Volk dagegen fühlte sich von seinen Herren mehr und mehr zurückgelassen mit seinen Sorgen und Nöten, die in manchen Gegenden noch immer ein bitteres Erbgut der alten Kriege sind und anderswo durch Armut und kriminelle Banden begründet wurden.
Doch auch der Süden blieb nicht unberührt von den Folgen des letzten Friedensschwurs. Noch immer wurden weite Teile Arsas durch kaiserliche Armeestützpunkte und die Privatarmee des Hauses Eudokia besetzt. Der kaiserliche Dispens an das Haus Eudokia beförderte die Ausbeutung der Boden- und Handelsschätze des Südens. Noch immer wurden Kinder als Geiseln zum Schutze des Friedens in den Norden verschleppt und in Klöstern aufgezogen, statt bei ihren Familien zu sein. Die Lebensweise der nomadischen südlichen Stämme wurde weiterhin durch bürokratische Eingriffe wie Zölle, Grenzkontrollen und Volkszählungen in Struktur gebracht. Man hatte sich von der Eheschließung größere oder zumindest schnellere Verbesserungen erhofft. Zugegeben, für den Süden war dies der Fall: einige Geiseln durften zurückkehren und die Reparationszahlungen wurden offiziell ausgesetzt. Zudem wurde die kaiserliche Armee mehr und mehr abgezogen, während die Truppen von Haus Eudokia sich nur noch auf wichtige und lukrative Handelsorte konzentrierten. Doch vielen Undankbaren ging das nicht weit genug. Während der Urven Arsa vorgab, einen selbstbestimmten Frieden durch schrittweise Annäherung, Überzeugung, diplomatische Winkelzüge und bedachten Widerspruch zu verfolgen, wetzten andere die Messer und stillten im Schutz von Überraschung und Dunkelheit ihren Rachedurst. Mit Schrecken munkelte man in den nördlich kontrollierten Gebieten von den blutigen Taten der roten Hand, einer Gruppe von Terroristen, die bei ihren Überfällen auf den Körpern ihrer Opfer das Brandmal einer Hand zurückließen. Die rote Hand, welche sich selbst als „Befreier“ stilisiert, schürt Hass und Kriegstreiberei. Ihre Aktionen beschränken sich dabei nicht bloß auf die von ihnen verhassten Besatzer, sondern erstrecken sich ohne Gnade auch auf jene, die sie als Sympathisanten und Freunde des Feindes einstufen – also im Prinzip jeden Nördling und nicht wenige ihrer eigenen Sippe.
In diesem komplizierten und sensiblen Spannungsfeld trat ein Mann unvermittelt in den Vordergrund: Ali Abd al Hakim, ein im Süden umstrittener Oasenfürst vom Stamm der Barai, besetzte mit seinem Gefolge die eigentlich neutrale, weil heiligste aller Oasen in der Wüste Asyuth: den Stammsitz des im Süden gehuldigten großen Geistes Ninurta, der sprudelnden Quelle, Mutter aller Seen und Flüsse und Garantin für Gastfreundschaft und Leben in der südlichen Gesellschaft. Ali Abd al Hakim erhob Anspruch auf die Oase, verwehrte zahlungsunwilligen Reisenden den Zugang zu dem Zufluchtsort und riss so die Kontrolle über einen der wichtigsten Handelsknotenpunkte zwischen der Südspitze Arsas und dem Landesinneren an sich. Dies alles tat er angeblich mit dem Segen und der Protektion von Kaiser Reinwertus Septimus. Ein Südländer als Strohmann und Machtgarant des Kaisers im Herzen des Südens! Undenkbar! Ein derartiger Affront, gleichzeitig gegenüber dem Urven Arsa und dem nördlichen Adel, erregte die Gemüter aufs Äußerste. Was hatte der Kaiser sich nur dabei gedacht? Wurde er endgültig senil? - mutig, aber akzeptabel -
Kaum hatten Norden und Süden Zeit diese Neuigkeiten zu verdauen, als auch schon die nächste Neuigkeit durch die Länder brandete: Die rote Hand hatte einen wichtigen Handelsstützpunkt in Berbkaar, der unter der Protektion der Eudokia stand, überfallen. Der Stützpunkt wurde verwüstet, die Handelsgüter entweder zerstört oder gestohlen und alle – egal ob aus dem Kaiserreich oder aus Arsa – wurden niedergemetzelt. Eine Reaktion auf die Besetzung der heiligen Oase? Oder nur ein weiterer scheinbar willkürlicher Akt des Terrors? - war der Schreiber wohl unsicher? Oder einfach nur unfähig, sich ohne derart gemeine rhetorische Mittel wie Fragen und Appelle an den Leser zu einer historischen Begebenheit zu äußern?
Kein Wunder, dass diese beiden Themen auch bei der diesjährigen Herbstjagd in Everenn aufkamen, einer Zusammenkunft unter den großen Adelshäusern des Nordens. Zu diesem Anlass entsenden diese traditionell mindere Vertreter aus ihren eigenen Reihen einige Tage im Voraus als Vorhut, um unbelastet von den Verpflichtungen und Würden des Hochadels Informationen zu sammeln, Spezialisten und Diener anzuwerben, Komplotte zu schmieden oder überfällige Verhandlungen und Übereinkommen untereinander vorzubereiten. Eudokia, Maecer, Valenius, die Studentenschaft der Universitäten, kaiserliche Beamte, die Ordae Tenebrarum und Tutelae und natürlich die everenner Bevölkerung als Gastgeber: Sie alle waren zusammengekommen. Die Versammlung der Herbstjagd zog wie immer zahlreiche Glücksjäger, Arbeitsuchende, Bittsteller und natürlich Neugierige aus Nah und Fern an.
Mitten in diese illustre Gesellschaft platzte ein schwer verwundeter kaiserlicher Bote, der mit Müh und Not und mit Hilfe eines seltsamen, plötzlich aufgekommenen Windes einem arglistigen Überfall entkommen war. Jeglicher Überfall auf die unter besonderem Schutz stehenden kaiserlichen Boten war für sich genommen bemerkenswert, doch dieser kam noch dazu aus der Oase der Ninurta und war auf direktem Weg zum kaiserlichen Hof. Und schlimmer noch: es gab Hinweise darauf, dass der Überfall auf den Boten von Besuchern der Herbstjagd unterstützt worden war.
Schnell riss der Ordo Tenebrarum die Suche nach den Schuldigen an sich. Das war nur recht so, vertritt der Ordo doch auch den großen Gott Atli, Hüter der Gesetze und der Wahrheit. Mit Hilfe eines heiligen Rituals, welches die Anwesenden zwang, die Wahrheit niederzuschreiben, versuchte der Ordo Tenebrarum die Verräter ausfindig zu machen, obgleich lästerliche Zungen behaupteten, das geschehe mehr aus Eigennutz, denn aus religiösem und edelmütigem Eifer. Doch der Ordo blieb in seinen Bestrebungen nicht allein. Auch die Gäste und anderen Fraktionen bemühten sich nach Kräften, Hinweise auf die Schuldigen zu finden. Doch wurden ihre Bemühungen von weiteren Ereignissen gestört: Besuche von aufmüpfigem Bauernvolk, die von einem brennenden Zorn getrieben wurden, der sich auch auf die Umstehenden zu übertragen schien wie eine Seuche; Heimsuchungen durch eine rachsüchtige Totenseele – eine Seltenheit und Anomalie in diesen Landen; aufgeregte lokale Waldgeister, die von einer selbst ihnen unheimlichen Macht berichteten, welche diesen Ort störe; Komplotte und Intrigen der Vertreter der Adelshäuser; Brandstiftung und das mysteriöse Verschwinden eines der Brandstifter, der durch eine entstellende Narbe am Hals gezeichnet war; und schließlich das Auftauchen eines geistig verwirrten Einsiedlers mit Kräften, die dem Wind selbst geboten und der ein unfreiwilliger Zeuge des Überfalls auf den kaiserlichen Boten geworden war, mischten die Versammelten ordentlich auf.
Trotz all dieser Aufregung und Geschehnisse blieben die Erkenntnisse, die gewonnen werden konnten, beschränkt und viele der Vertreter der nördlichen Adelshäuser mussten ihren anreisenden Herren und Herrinnen gegenübertreten, ohne die ihnen eigentlich obliegende Aufgabe erfüllt zu haben. Dennoch wurden Freundschaften, Bündnisse und Feindschaften begründet. Die Unruhe im Volk Everenns fand zumindest ein vorübergehendes Ende und es wurden einige wesentliche Geheimnisse aufgedeckt: Tatsächlich wurde der Überfall auf den kaiserlichen Legaten durch Mitglieder der roten Hand und mit Hilfe eines ortskundigen Bauern durchgeführt. Dieser konnte helfen die Identität des Anführers der berüchtigten arsischen Terrorgruppe aufzudecken: Niemand Geringeres als Nurhadin Alhizan vom Stamm der Barai, Sohn des abtrünnigen Oasenfürsten Ali Abd al Hakim, ehemaliger Freund und Weggefährte des Urven Arsa, Do’rian, und vor sieben Jahren Bote Arsas und Unterzeichner des zwanzigsten Friedensschwurs. Warum Nurhadin Alhizan letztlich den kaiserlichen Legaten überfiel, ob aus Hass gegenüber dem eigenen Vater oder dem Säulenpakt des Kaiserreiches gegenüber, blieb jedoch genauso im Dunkeln, wie die Botschaft des Legaten selbst.
Nur Weniges ist sicher bekannt von den direkten Konsequenzen der letzten Herbstjagd, doch wird nun Nurhadin sowohl als Feind des Kaiserreichs gejagt, als auch von nicht Wenigen seiner eigenen Landsleute und seinem alten Freund, dem Urven Arsa, zurecht als Abtrünniger und gefährlicher Extremist betrachtet.
Auch dies trug sich in den Monaten nach der Herbstjagd zu: der Urven Arsa befreite die Oase der Ninurta von Nurhadins Vater und schloss ein Abkommen mit dem Säulenpakt, das die künftige Neutralität und Freiheit der heiligen Stätte Arsas garantierte.
Noch hält der Frieden zwischen Arsa und dem Säulenpakt, doch wird er unter dem Druck des Hasses der roten Hand und den Intrigen der nördlichen Adligen zusammenbrechen? Oder werden die stetigen, aber langsamen Bemühungen um eine Annäherung der beiden Völker durch den Urven Arsa, den Prinzen mit seiner südlichen Gemahlin und einiger anderer gemäßigter Stimmen aus Nord und Süd endlich Früchte tragen?
Soweit gut recherchiert und zusammengetragen. Stellenweise habe ich Modifikationen vorgenommen, wo dein noch zu naiver Stil wichtige Elemente verschleiert hätte. Die letzte unterstrichene Passage ist jedoch hochgradig enttäuschend - selbst nach nur einem Jahr unter meinen Fittichen erwarte ich mehr politisches Gespür von meinen Schülern. Verbessere dich. Ansonsten musst du diese schreckliche, vulgäre Angewohnheit ablegen, die dich immer wieder zu rhetorischen Fragen verleitet. Wir schreiben hier die Geschichte nieder, neutral und unvoreingenommen. Das ist kein Schundroman, den die Hafenarbeiter lesen, wenn sie sich keine weibliche Gesellschaft leisten können.
- Art. Doct. Alanna