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DIE CHRONIKEN

„Innana Veh!“ Kommt und hört zu…

So beginnen alle Geschichten in Ylodern. Und Wunderbares bekommt man dann zu hören. Vom Beginn der Zeit, denn die Zeit war nicht immer da. Davon, wie ein Gedanke mit der Erkenntnis spielte und dabei Herrlichkeiten erschuf. Wie der Baumeister erst die Erde, dann die Pflanzen und Tiere, dann den Menschen und schließlich die Zivilisationen formte. Oder vom großen Funken, der aus den Gegensätzen seines Wesens Wunder gebar. Wie der alte Eremit durch die Welten zog. Wie die Geister, die verkörpertes Leben selbst sind, den großen Kreislauf von Tod und Wiedergeburt antreiben.

Viele Geschichten gibt es von Ylodern zu erzählen, wenn die Feuerfunken gen Nachthimmel steigen. Doch wie alles begann, das ist in Hunderten von Jahren und Leben in Vergessenheit geraten. Und darum beginnen wir unsere Geschichte von Ylodern auch nicht am Anfang, sondern berichten zunächst von dem, was man noch mit Sicherheit weiß.

Schon seit vielen Generationen gehen Zorn, Angst und Unfriede um in der Welt. Seit die alten Geister sich unter ihrem Anführer Orakon gegen die Götter der drei Amphoren erhoben und die Menschheit sich in zwei Lager spaltete. Der erste große Krieg wütete mehrere Jahre in Ylodern. Er erschuf Helden und Monster. Schmiedete Kameradschaften und entzweite Familien. Das tat er mit Feuer und Eisen. Mit Blut und Tränen, Zornesstimmen und Todesschreien.

Nach diesem ersten großen Krieg zogen sich Geister und Götter aus dem Streit zurück, denn seine Folgen waren zu verheerend für die Welt und ihre Kräfte hätten Ylodern beinahe in Stücke gerissen. Doch der Friede konnte im Herzen der Menschen keine Wurzeln schlagen. Die jungen Zivilisationen, die der Asche der Schlachtfelder entstiegen, wurden schon in der übernächsten Generation wieder in den Staub geworfen.

Der Süden Yloderns hatte sich auf die Seite der Geister geschlagen, während der Norden für die Götter stritt. Die Fronten verhärteten sich immer weiter. Vor dreißig Jahren schließlich begann abermals ein schrecklicher Krieg, der zehn Jahre lang beide Länder ausblutete und die Herzen der Menschen abstumpfen, ihre Hoffnungen vertrocknen ließ. Doch nach und nach kristallisierte sich ein Sieger in den ewigen Schlachten heraus. Der Norden, technisch und organisatorisch den stolzen aber wilden Stämmen des Südens überlegen, konnte auf dem Feld von Terén einen vernichtenden Sieg erringen. Fast der ganze Adel des Südens wurde getötet, und seine Jugend, die Hoffnung eines jeden Volkes, dahingeschlachtet. Zurück blieben nur die Alten, die Schwachen und die Kinder. Ein neuer Friedensvertrag wurde geschlossen. Seitdem kontrollieren die nördlichen Säulenpaktländer den Süden.

Sie bauten Straßen und brachten den schwachen Stämmen Nahrung, Bildung und Hilfe beim Wiederaufbau. Doch sie nahmen ihnen auch die alten Rituale. Sie nahmen ihre Kinder und erzogen sie an ihren nördlichen Schulen. Sie gaben ihnen Statthalter und Abgaben. Der Frieden dauert nun zwanzig Jahre an. Eine ganze Generation erblühte in dieser Zeit. Doch die alten Wunden sind noch nicht geheilt. Die Menschen erinnern sich noch immer an die alten Lügen, Versprechungen und Rituale.

Bericht des Cornelius Andronikus, aus der Familie der Androniker, Markgraf von Süd-Terén und Ehrenmitglied der Teréner-Garde an ihro Gnaden Kaiser Reinwertus Septimus, aus der Familie der Septimer, caesarus des Säulenpakts, erster Richter im Reich, Oberbefehlshaber der Teréner-Garde, der kaiserlichen Flotte und der arvennischen Garde, über die Geschehnisse zum zwanzigsten Jubiläum des Friedens von Terén.

Allergnädigster Fürst und durchlauchter Kaiser der Säulenpaktlande, demütig senke ich mein Haupt, da ich Geschehnisse zu berichten habe, die ich nicht verschweigen kann und will, obwohl sie auf meinem Land und Boden sich zutrugen und die Unterzeichnung des neuerlichen Friedensvertrages mit Arsa gefährdeten, jedoch aufgrund des tapferen Einsatzes von Leib und Leben einer Anzahl an Männern und Frauen doch noch zum Guten gewendet werden konnten.

Auf meinem Jagdgut nahe des Schlachtfeldes von Marisén, versammelte sich eine illustre Anzahl an Reichsgästen, Staatsfürsten und Gesandten, um die Feierlichkeiten zum Friedensschwur gemeinsam zu begehen. Wie ich bereits im Vorfeld der Veranstaltung dargelegt hatte, errichtete ich zu diesem Anlass einen Schutzgürtel, bestehend aus den besten Männern der Teréner-Garde, um die Sicherheit aller Gäste zu gewährleisten, dabei jedoch unsere diplomatischen Gäste aus dem Süden nicht in eine steife, förmliche und unangenehme Situation der Überwachung und Bedrängnis zu bringen.

Vor Ort waren Anwesend: Euer ehrenwerter Sohn selbst, seine Hoheit Kronprinz Konstantin Septimus in Begleitung seines Leibwächters Elpidios. Ich selbst, Cornelius Andronikus, meine Statthalterin und Stellvertreterin vor Ort, die Dame Drusilla Calanthius, Ihre Hoheit die Herzogin von Arvenn Theodora Eudokia in Begleitung ihres Vetters ersten Grades und Kammerherrn Flaccus Eudokia, der Herr Alarich Arenborn, ein fremdländischer Gast und Edelmann in Begleitung seiner Gefolgsleute Florine du Fontane und Salym. Weiterhin aus den Reihen der südländischen Gesandten Nurhadin, genannt Alhizan aus dem Stamm der Barai, Amirah, genannt Sita, Schwester des südlichen Königs Urven Arsa Do’rian, Taruna, eine Vertraute Amirah Sitas, Sheikh Walid ibn Mustafa at-Dimali al Rashid mit seinen Töchtern Natani und Jadira, seinem Anverwandten Julius Aelius und seinem Wächter Ruk Char. Weiterhin anwesend war die ehrenwerte Chien Su-Ya, die siebzehn Jahre im Hause der Eudoker gelebt hatte und zu diesem Anlass in die Heimat entlassen wurde.

Aus den Reihen der niederen Stände bzw. Standeslosen waren anwesend: Lars vom Aikhof mit seinen Begleitern Heinrich Hartmann und Karn aus den Nordprovinzen, der Elf und fremdländische Magier Nyran Farr, ein Bogenschütze und Abenteurer namens Gromak, die fremdländischen Gelehrten Herseph Holgersen und Iola Gundasdottir, ein reisender Monsterjäger namens Mortarion, meine treue Leibwächterin Akira, genannt die Klanlose, der wohlbekannte Händler Atticus Philanthropenos, die Sacerdotis tres Amphores und Priesterin des Ravenn Brutia, die Schamaninnen Ashanti aus Ulungai und Soraija vom Stamm der Maeljinn, der berühmte Dichter Arsas Davin Rai aus Lydhan, die Bardin Greta vom Frostfall aus den Nordprovinzen, meine Untertanin, die Bäurin und Pferdewirtin Helah, die Reisende und Gelehrte Khaleeda Jara aus Marabien, der Leibwächter der Amirah Sita Kojo vom Stamme der JuJu, die Kräuterhändlerin Vigilia Malakes und eine Repräsentantin Magads, die Kriegerin Zoya vom Stamm der Zaor.

Der offizielle Teil des Freitagabends verlief reibungslos und friedlich. Nach der Ankunft der Gesandtschaft und weiterer Gäste, der Begrüßung und dem Götterdienst feierte die südliche Delegation ein Abschiedsritual für ihre Prinzessin, das wohl nicht ganz nach ihren Wünschen verlief, aber sonst ungestört blieb. Doch später am Abend begannen die Unruhen: Sheikh Walid und seine Tochter Jadira wurden bei einem abendlichen Spaziergang an der frischen Luft von einem Unbekannten mit dem Messer überfallen und erst nach einiger Zeit verwundet aufgefunden. Trotz redlicher Bemühungen konnten ob der hereingebrochenen Dunkelheit keine verlässlichen Spuren des Attentäters gefunden werden. Man vermutete er habe sich in den nahen Wald geflüchtet. Aufgrund dieser Situation wurde die nähere Umgebung gründlich abgesucht und alle Zugänge zum Haus verriegelt und unter strenge Bewachung gestellt.

Doch am nächsten Tag trugen sich neuerliche Ungeheuerlichkeiten zu. Kurz nach Anbruch des Tages tauchte Taruna, die Vertraute Amirahs, in einem desolaten Zustand beim Haus auf und verkündete, dass sie die Sita am vorangegangenen Abend noch vor Ausbruch der Unruhen in den Wald verfolgt habe, welche, wie sich gegen Mittag herausstellte, selbst mit dem ihr vertrauten Dichter Davin Rai versucht hatte sich durch Flucht ihrem Aufenthalt im Norden zu entziehen. Hierbei wurden beide jedoch von mehreren bewaffneten Schergen unbekannter Herkunft abgefangen und verschleppt. Man fand Davin Rai zur Mittagszeit schwer verwundet in der Nähe des Hauses auf, wohin er sich aus eigener Kraft geschleppt haben musste.

Im Laufe des Tages durchforschten viele der Gäste den nahen Wald nach Hinweisen. Einige suchten auch den Rat und die Führung bei den Göttern oder wandten sich an gut gesinnte Geister. Aufgrund der hilfreichen Aussage der Herzogin Theodora Eudokia und einiger Hinweise, die im Wald gefunden wurden, stellte sich heraus, dass ein Trupp Söldner des Regiments „Xiphias Brüder“ im Auftrag eines noch unbekannten Verschwörers die südliche Prinzessin als Geisel genommen hatte, in der Absicht sie am darauffolgenden Abend zu töten und so einen neuerlichen Konflikt zwischen Nord und Süd zu provozieren.

Euer Sohn, Konstantin Septimus berief auf die Schnelle eine Gerichtsverhandlung ein, um über alle Schuldigen in dieser Sache zu urteilen und nötige weitere Schritte zu erörtern. Verhört wurden hierbei zufördest Davin Rai, der sich erkühnt hatte mit Amirah Sita zu fliehen, und deren Vertraute Taruna, welche das Fehlen der Prinzessin zwar bemerkte, es jedoch unterließ Hilfe herbeizuholen. Zum Zwecke der Urteilsfindung zogen wir, euer ehrenwerter Sohn, seine Hoheit der Kronprinz, meine Wenigkeit und der Abgesandte des Südens Nurhadin uns für einige Stunden zurück. Während unserer Abwesenheit gelang es den tapferen und wagemutigen Gästen des Festes den Aufenthaltsort der Söldner ausfindig zu machen und Dank des Verhandlungsgeschicks Ihrer Hoheit Theodora Amirah Sita gegen eine Summe von 50 Goldtalern auszulösen.

Bei unserer neuerlichen Zusammenkunft wurden dem Gericht so auch durch die Dame Florin neue Beweise vorgelegt, die den Händler Atticus Philanthropenos als den heimlichen Verschwörer und Ränkeschmied entlarvten. Auf meinen Befehl hin wurde er in Haft genommen und im Pferdestall arrestiert, wo einige Männer, darunter der Hexer Mortarion, ihn bewachten. Das Gericht entschied Gnade über den Dichter Davin Rai walten zu lassen und ihn lediglich aus den Säulenpaktlanden auf Lebenszeit zu verbannen. Doch kaum endete unsere Zusammenkunft als neuerliche Schrecken aufkamen.

Wie sich herausstellte, war der Händler Atticus ein verderbter Anhänger der widernatürlichen Blutmagie des gefallenen Gottes Marduk und befreite sich mit dieser Macht aus der Haft. Es kam zu einem Kampf gegen die beschworenen Dienerkreaturen, die Leibwächter, welche er mittels finsterster Beherrschungszauberei sich unterworfen hatte und den Verschwörer selbst, bei dem viele der Gäste todesmutig und unter Einsatz ihres Lebens, gegen die dunklen Machenschaften des Zauberers vorgingen. Namentlich hervorzuheben sind hier vor allem der edle Alarich Arenborn, der tapfere Karn, der Hexer Mortarion, aber auch der Elf Nyran, der wandernde Gromak und nicht zuletzt die kriegerische Tochter des Sheikhs Walid, Jadira, nebst seinem Wächter Ruk, um nur einige zu nennen. Gemeinsam gelang es uns allen, den niederträchtigen Atticus im Kampf zu besiegen. Er wurde seiner gerechten Strafe noch vor Ort zugeführt, um keinen weiteren Schaden anrichten zu können. Es betrübt mich sehr, das ein Mann, der den höchsten Rängen so nahe stand, hinter diesem Komplott steckte, das den Frieden derart in Gefahr brachte.

Aufgrund der Intelligenz, dem Tatendrang und der Tapferkeit vieler der Anwesenden konnte der zwanzigste Friedensschwur jedoch erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Einer Verbindung zwischen  dem hohen Haus der Septimer und der königlichen Linie Arsas steht somit nichts mehr im Wege. Euer Sohn und seine zukünftige Braut werden mitsamt ihrem kleinen Gefolge wohl in den nächsten Wochen bei Euch eintreffen, mein Fürst und Kaiser. Ich freue mich außerdem sehr, dass auch ein weiteres Ehebündnis zu diesem Anlass begründet wurde, nämlich zwischen meiner Statthalterin Drusilla Calanthius und dem Kammerherrn Flaccus Eudokia. Da diese Verbindung jedoch in ungewöhnlicher Schnelle geschlossen wurde, mag es sein, dass die Familie der Eudokier sich diesbezüglich noch einmal an Euch wenden wird, mein Fürst.

Aufgrund der treuen Dienste der Teréner Garde konnten im Nachhinein des Festes auch noch weitere Untaten aufgedeckt und gesühnt werden. Der oben erwähnte Sicherheitsgürtel blieb noch einige Tage nach Abschluss des Festes bestehen, nicht nur, um alle eventuellen Mitverschwörer des Atticus Philanthropenos ausfindig zu machen und festzusetzen, sondern auch um den Raub der Reparationszahlungen, die Schändung der heiligen Amphoren in der Kapelle meines Hauses und den Diebstahl der von den Tempeln bereitgestellten wertvollen Opfergaben aufzuklären. Außerdem wurden auf einem abgelegenen Bauerngestüt mehrere Leichen, offenbar die Bewohner, gefunden. Die Reparationszahlungen Arsas konnten in den Händen eines einfachen Soldaten sichergestellt und zurückgebracht werden, der uns zur Diebin und Landesverräterin Khaleeda Jara führte.

Diese wurde abgefangen, als sie versuchte meine Ländereien zu verlassen, vor Gericht gestellt und mehrere Tage einer peinlichen Befragung ob der anderen Verbrechen unterzogen. Sie leugnete jegliche Beteiligung an dem Diebstahl der Opfergaben und der Schändung der Kapelle; da ihr niederträchtiger Charakter sich jedoch bereits im Verrat an ihren Landsleuten offenbart hat, ist ihre Schuld nicht zu bezweifeln. Sie wurde am sechsten Tage nach ihrer Verhaftung durch den Strang vom Leben zum Tode befördert. Der Wald wird derzeit noch nach den gestohlenen Opfergaben durchkämmt, die die Diebin zweifelsfrei dort versteckt hatte, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder an sich zu bringen. Was die Ermordung der ansässigen Bauersfamilie betrifft scheint es so, als ob die „Xiphias Brüder“ an ihnen Rache für eine nicht eingehaltene Abmachung genommen hätten.

Damit schließe ich meinen Bericht der Ereignisse und muss Euch, kaiserliche Majestät, um Verzeihung bitten, dass sich solche Schändlichkeiten zutragen konnten. Ich kann zu meiner Verteidigung nur vorbringen, dass der Frieden zwischen den Ländern Arsas und der Säulenpaktlande durch diese Ereignisse weitaus mehr verstärkt und bekräftigt wurde, als ein einfaches Fest es hätte zustande bringen können. Der gemeinsame Feind hat Süd- und Nordländer enger zusammengebracht und den Wert des Friedens erkennen lassen. Ich werde in den folgenden Wochen an den Hof in Korus einkehren, um mich für alle Ereignisse vor Ort zu verantworten und verbleibe Euer untertäniger und demütiger Diener.

BerichtYlodern1
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